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Gendermedizin: Frauen sind gesundheitlich oft benachteiligt

Sagt Ihnen die Bezeichnung Gendermedizin etwas? Zwar lässt sich erahnen, was mit dieser Fachrichtung gemeint ist, tatsächlich existiert sie aber noch gar nicht lange und macht deutlich, dass selbst auf dem Gebiet der Gesundheit noch immer keine Gleichberechtigung herrscht.

Obwohl man natürlich weiß, dass Frauen und Männer biologisch gesehen unterschiedlich sind und daher geschlechtsspezifisch behandelt werden müssten, haben vor allem Frauen in Gesundheitsfragen das Nachsehen. Wir stellen Ihnen im Folgenden vor, was Gendermedizin ist, wieso sie notwendig ist und welche Bereiche besonders wichtig sind.

Was ist Gendermedizin?

Eine geschlechtsspezifische Medizin berücksichtigt die Unterschiede von Frauen und Männern in Bezug zu verschiedenen Krankheiten. Dabei spielen biologische Unterschiede sowie soziokulturelle Unterschiede eine Rolle. Beide Bereiche beeinflussen sich je nach Geschlecht ganz unterschiedlich und erfordern daher eine geschlechtsspezifische Diagnose, Pathogenese (Entstehung und Entwicklung einer Krankheit), Therapie und Prävention von Erkrankungen.

Hör' auf Dein Herz – Herzgesundheit von Frauen

Frauenherzen schlagen anders. Und geraten sie aus dem Takt, unterscheiden sich die Symptome von denen der Männer. Der klassische Brustschmerz bei einem Herzinfarkt ist zum Beispiel bei Frauen häufig nicht so stark ausgeprägt – Betroffene und Ärzt*innen erkennen die Anzeichen daher oft zu spät. Damit es nicht zum Ernstfall kommt, unterstützen wir Sie mit umfassenden Vorsorgeangeboten und Behandlungen sowie Ratgebern für einen gesunden Lebensstil.

Frau wird durch einen Arzt untersucht

Studium und Forschung

Lange Zeit stand ausschließlich der männliche Körper im Mittelpunkt des Medizinstudiums. Eine Umfrage des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB)  ergab, dass geschlechtsspezifische Medizin an den medizinischen Fakultäten in Deutschland bislang nur unzureichend und sehr unterschiedlich gelehrt wird. Zudem wird bemängelt, dass auch die Medizinstudierenden selbst noch nicht offen genug für eine geschlechtssensible Medizin seien. Nähere Informationen zur Studie finden Sie beim Deutschen Ärzteblatt.

Auch in der Forschung werden beispielsweise Tests eines Wirkstoffes oft nur an männlichen Mäusen durchgeführt. Schlägt ein Wirkstoff nur bei weiblichen Mäusen gut an, spielt dieser für die weitere Entwicklung eines Medikaments gewöhnlich keine Rolle mehr. Von Medikamententests werden Frauen bis heute häufig ausgeschlossen. Die Gründe dafür seien beispielsweise Hormonschwankungen, die die Ergebnisse unbrauchbar machen könnten und gefährliche Risiken und Spätfolgen durch eine Schwangerschaft und Geburt eines Kindes.

Nebenwirkungen

Sofern Frauen von Medikamententests ausgeschlossen werden, besteht die Gefahr, dass die Medikamente anders wirken und dass sie andere und stärkere Nebenwirkungen haben als bei Männern. Häufig erhalten Frauen trotzdem das gleiche Medikament wie Männer. Leiden sie dann unter Nebenwirkungen, wird ihnen das nächste Medikament verschrieben und so weiter. Dabei ist es so, dass neuere Medikamente von Frauen oft besser vertragen werden. Allerdings sind Ärzte darüber nicht immer ausreichend informiert.

Medikamentenwirkung und -dosierung

Dass Medikamente bei Männern und Frauen ganz unterschiedlich wirken und den Gesundheitszustand von Frauen sogar noch verschlechtern können, wurde an dem Medikament Digoxin deutlich, das bei Herzschwäche verschrieben wird. Nachdem Ärzte die Daten einer Langzeitbeobachtung Ende der 1990er-Jahre des „altbewährten Mittels“ neu und geschlechtsspezifisch analysierten, kam heraus, dass es nur bei Männern wirkte, während Frauen, die es nahmen, durchschnittlich früher aufgrund ihrer Herzprobleme starben.

Auch bei der Dosierung eines Medikaments haben Frauen meist das Nachsehen. Obwohl sie in der Regel weniger wiegen als Männer und auch aufgrund ihrer Hormone und Chromosomen eine andere Dosierung von Medikamenten oder Impfstoffen benötigen, bekommen sie in der Regel die gleiche Dosis. Auch die Leber spielt dabei eine wichtige Rolle: Da sie bei Frauen kleiner als bei Männern ist, baut sie die Wirkstoffe langsamer ab. Diese Unterschiede können dazu führen, dass Medikamente und Impfstoffe bei Frauen überdosiert werden. So reiche bei einer Impfung bereits die halbe Menge, um eine Frau genauso gut zu schützen wie einen Mann.

Studien belegen auch, dass Frauen, die Schlafmittel einnehmen, am darauffolgenden Tag häufiger einen Verkehrsunfall haben, weil die Dosierung zu hoch war. Generell erhalten Frauen vom Arzt viel schneller Medikamente und sind häufiger medikamentenabhängig. Das gilt vor allem für Psychopharmaka.

Diagnostik und Symptomatik

Eine erfolgreiche Behandlung ist nur dann möglich, wenn rechtzeitig die richtige Diagnose gestellt wird. Da Frauen aber bei diversen Erkrankungen häufig andere Symptome oder andere Erkrankungen haben, kommt es nicht selten zu falschen oder verspäteten Diagnosen. Beispielsweise kann es bei der chronischen Unterbaucherkrankung Endometriose bis zu 15 Jahre bis zu einer Diagnose dauern. Oft erfolgt diese erst, wenn eine Frau nicht schwanger werden kann, obwohl sie es versucht, aber beispielsweise schon seit Jahrzehnten unter starken (Perioden-)Schmerzen leidet. Im Falle einer Krebserkrankung vergeht zwischen den ersten Symptomen bis zur Diagnose bei Frauen ebenfalls mehr Zeit und sie müssen mehr Arztbesuche in Kauf nehmen.

Aus welchen Gründen? Bei Frauen werden die Symptome oft verharmlost oder aber mit anderen – meist psychischen Erkrankungen – in Verbindung gebracht. Oder die ärztliche Diagnose lautet schlichtweg, dass die Patientin überreagiere. Studien aus den 1990er-Jahren belegen, dass 30 bis 50 Prozent der Frauen, bei denen eine Depression diagnostiziert wurde, eine falsche Diagnose erhalten haben. Die eigentliche Erkrankung blieb dagegen unbehandelt. Die Behauptung, dass die Beschwerden eher in den Köpfen der Patientinnen entstehen, kann fatale Folgen haben. Diagnosefehler führen allein in den USA zu 40.000 bis 80.000 Todesfällen pro Jahr (Quelle: BBC).

Auch hier ist der Herzinfarkt ein bezeichnendes Beispiel, denn seine Symptome unterscheiden sich sehr zwischen Frauen und Männern. So klagen Frauen seltener über stechende Brustschmerzen, die in den Arm ausstrahlen, oder ein Engegefühl in der Brust. Stattdessen macht sich ein Herzinfarkt bei Frauen eher durch atypische Symptome wie Übelkeit, Erschöpfung und Schmerzen im Oberbauch bemerkbar.

Wo haben Männer das Nachsehen?

Gendermedizin bedeutet natürlich auch, dass Männer ebenfalls geschlechtsspezifisch behandelt werden müssen. Und auch auf diesem Gebiet ist noch viel Forschung nötig. So sterben Männer beispielsweise häufiger an Krebs. Depressionen und Osteoporose werden bei ihnen oft gar nicht erkannt. Zudem ist auch noch nicht erforscht, wieso Frauen im Schnitt fünf Jahre länger leben als Männer.

Was wird derzeit aktiv auf dem Gebiet der Gendermedizin getan?

Es ist deutlich, dass die geschlechtsspezifische Medizin noch in ihren Kinderschuhen steckt und auf dem Gebiet der Lehre und Forschung noch viel zu tun ist. Dennoch können erste Erfolge verbucht werden:

  • Mittlerweile gibt es Richtlinien, die dafür sorgen sollen, dass auch weibliche Probandinnen für die Zulassung eines neuen Medikaments in die Tests mit einbezogen werden. Allerdings werden diese bislang leider nicht immer umgesetzt.
  • Die meisten Studien auf dem Gebiet der Gendermedizin finden derzeit auf dem Gebiet der Herzmedizin statt. Mittlerweile wird ein Herzinfarkt bei Frauen im Vergleich zu früheren Jahren bereits häufiger erkannt.
  • Noch ist in Deutschland die Berliner Charité die einzige medizinische Fakultät, die über ein Institut für Geschlechterforschung in der Medizin verfügt. An der Universität Halle gibt es ein Prodekanat für Gender, das sich ebenfalls für ein geschlechtssensibles Medizinstudium einsetzt und auch an anderen Fakultäten wird die Gendermedizin präsenter.
  • Mit dem Forschungsprojekt „Genderwissen in der Ausbildung von Gesundheitsberufen (GewiAG)“, das im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums erfolgt, wird der aktuelle Stand der Integration von Geschlechterwissen und geschlechtersensiblen Lehr- und Lerninhalten nach der ersten Befragung im Jahr 2016 erneut systematisch erfasst und verglichen. Zudem sollen mögliche Hindernisse für eine erfolgreiche Integration der Gendermedizin in die Lehre ausfindig gemacht werden. Im Fokus stehen hier die drei wichtigsten Gesundheitsberufe: Medizin, Pflege und Physiotherapie (Quelle: Deutsches Ärzteblatt).

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