
Lotusgeburt, Freebirthing, Plazenta essen: In den letzten Jahren werden Schwangeren immer wieder Geburtspraktiken oder Rituale empfohlen, die die Gesundheit der werdenden Mutter und des Ungeborenen gefährden können. Angebliche Vorteile? Bislang wissenschaftlich nicht belegbar.

Sanfte Abnabelung mit der Lotusgeburt?
Welche Vorteile soll das Plazenta-Essen haben?
Laut kleinerer Studien soll der nachgeburtliche Verzehr der Plazenta die Muttermilchproduktion ankurbeln, Wochenbettdepressionen vorbeugen beziehungsweise mindern und generell zu mehr Energie verhelfen und das Immunsystem stärken.
Nutzen nicht erwiesen!
Die angeblichen Vorteile klingen natürlich verlockend. Allerdings konnten sie bislang in keiner einzigen größeren Studie nachgewiesen werden. Auch ist zu bemerken, dass in kleinen Studien wie der Studie von der University of Nevada, die aus 27 Probandinnen bestand, vor allem die Mütter von positiven Auswirkungen berichteten, die viel Vertrauen in Homöopathie und Esoterik hatten und somit – so die Schlussfolgerung der Wissenschaftler*innen – wahrscheinlich eher zurückhaltend mit kritischem Feedback waren. Noch signifikanter ist allerdings, dass es kaum einen Unterschied bei der Wirksamkeit zwischen den Frauen, die Plazenta-Kapseln bekamen und denen, die ein Placebo einnahmen, gab.
Ebenfalls konnte eine kleine Untersuchung von sechs Plazentas des Uniklinikums Jena zwar nachweisen, dass die rohe Plazenta reich an Hormonen wie Progesteron, Östrogen, dem humanen Plazentalaktogen (Stillhormon) und Oxytocin (Kuschelhormon) ist – aber die zuvor hohe Konzentration nahm nach der Verarbeitung nach der traditionellen chinesischen Medizin durch Trocknung und Pulverisierung um ganze 99 Prozent ab. Wenn die Kapseln also positive Auswirkungen haben, kann es sich dabei eigentlich nur um einen Placebo-Effekt handeln.

Bis zu 1.100 Euro für Schwangerschaft und Geburt
Plazenta als Schadstofffilter – lebenswichtig für Ungeborenes
Die Plazenta ist erstmal ein Allroundtalent. Allerdings nur, solange sie sich im Körper der werdenden Mutter befindet. Der Mutterkuchen ist nicht nur für die Sauerstoff- und Nährstoffversorgung von der Mutter zum Kind zuständig. Er fängt auch Schadstoffe wie Schwermetalle (zum Beispiel Quecksilber), Bakterien und andere Viren aus dem Blut der Mutter über das Gewebe auf, bevor diese in die Blutbahn des Kindes übergehen. Die Plazenta fungiert somit zum Teil als natürlicher Schadstofffilter.
Gesundheitliche Risiken durch Plazenta-Kapseln und Co.
Zwar ist die eigene Plazenta in Pulver-Kapsel- oder Globoli-Form schon lange Teil der traditionellen chinesischen Medizin (TCM), aber trotzdem gibt es bislang keine hinreichenden Richtlinien für den Herstellungsprozess. So prüfen die Hersteller zum Beispiel nicht immer, ob es zu Infektionen vor oder nach der Geburt kam. Um Salmonellen ausschließen zu können, muss die Plazenta mindestens zwei Stunden auf 52 Grad Celsius erhitzt werden.
Bei der Herstellung müsst ihr also blind vertrauen. Entscheidet ihr euch trotzdem dazu, eure Plazenta trocknen und pulverisieren zu lassen, sollte euch bewusst sein, dass ihr euch und euer Kind einem erhöhten Infektionsrisiko aussetzt.
Mutter infiziert Kind mit B-Streptokokken
Dass die Risiken nicht zu unterschätzen sind, macht folgender Fall deutlich: Ende 2016 brachte eine Frau aus Oregon ein gesundes Baby zur Welt. Darauf allerdings bekam das Kind plötzlich Atemnot und wurde auf die Intensivstation verlegt. Nach einer Blutentnahme fanden die Ärzte eine Infektion mit B-Streptokokken heraus. Trägt die Mutter den Erreger in sich, infiziert sich das Ungeborene meist während der vaginalen Geburt über den Geburtskanal. Erste Anzeichen zeigen sich gewöhnlich in den ersten sechs Tagen. B-Streptokokken können zu einer lebensgefährlichen Lungenentzündung, Blutvergiftung sowie zu einer Hirnhautentzündung führen. Das Neugeborene erhielt elf Tage lang ein Antibiotikum und konnte daraufhin gesund aus dem Krankenhaus entlassen werden.
Keine Woche später mussten die Eltern ihr Kind wieder in die Notaufnahme bringen. Nach einer weiteren Blutentnahme wurden wieder B-Streptokokken festgestellt. Die Muttermilch konnte als Quelle ausgeschlossen werden. Erst durch den Hinweis eines Arztes, dass die Mutter nach der Geburt darum bat, die Plazenta mitnehmen zu dürfen, berichtete die Mutter dann von der mehrmals täglichen Einnahme ihrer Plazenta-Kapseln. Diese ließ sie von einem Institut herstellen. Anschließend wurden die Kapseln auf B-Streptokokken untersucht und die Mediziner wurden fündig. Selbst das Erbgut der Bakterien in den Kapseln war identisch mit dem der Keime, die im Blut des Babys gefunden wurden. Zwar können die Mediziner nicht zu 100 Prozent ausschließen, dass sich das Neugeborene auch durch eine andere Person infiziert haben könnte – dies kann bereits durch intensiven Hautkontakt passieren. Allerdings wurde das Kind erst nach einer weiteren zweiwöchigen Antibiotikabehandlung und nachdem die Mutter die Kapseln abgesetzt hat, endlich gesund.
Weitere Forschung nötig!
Ob und unter welchen Umständen Wissenschaftler*innen dem Plazenta-Verzehr nach der Geburt irgendwann doch noch zustimmen, müssen weitere randomisierte Studien zeigen. Bis dahin gilt: Geht lieber kein Risiko ein und sofern ihr eine passende Stelle findet, vergrabt eure Plazenta lieber und pflanzt darauf einen (Lebens-)Baum.