Gemeinsam Kompromisse finden
Doch ein introvertiertes Kind – auch Intro genannt – ist nicht einfach nur ruhig. Seine Freunde lassen sich meist an einer Hand abzählen und Erzieher oder Lehrer beschweren sich, dass es sich nicht ausreichend einbringt und sich beispielsweise auf dem Schulhof allein in eine Ecke verkriecht. Dann sind eure ersten Gedanken wahrscheinlich: Wie kann ich meinem Kind dabei helfen, offener zu werden und sich besser zu integrieren? Die folgenden Fakten und Tipps helfen euch dabei, euren Sprössling besser zu verstehen und auf ihn eingehen zu können. Allerdings ohne ihn dabei zu verbiegen!
Intros beziehen ihre Energie aus dem Rückzug
Der Alltag eines introvertierten Kindes sollte deshalb, so gut es geht, vorhersehbar sein. Es benötigt täglich seine Ruhephasen, in denen es auch mal alleine spielen, lesen oder einfach rumhängen kann. Hat es ein Hobby, wird es wahrscheinlich sehr dafür brennen und sich täglich damit beschäftigen. Genau hier bietet sich auch ein gute Chance, es in einem Verein anzumelden. Denn unter Gleichgesinnten fällt einem Intro die Kontaktaufnahme leichter. Bei extrovertierten Geschwistern, die gerne mit ihm spielen und toben wollen, ist es wichtig, dass er nicht dazu gezwungen wird. Das bedeutet natürlich nicht, dass er gar keine Lust hat, mit dem Geschwisterkind zu spielen oder dass ihr ihn nicht hin und wieder dazu motivieren dürft. Es sollte halt ausgewogen sein und die Rückzugsphasen immer als “Rettungsinsel” eine wichtige Rolle spielen. Bedeutet genauer: Nach einer gemeinsamen Tätigkeit benötigt euer Kind in der Regel Zeit für sich!
Ein introvertiertes Kind ist nicht gleich schüchtern
Introvertierte Menschen haben es vor allem in der Schulzeit nicht einfach. Zum Vergleich: Die Mehrheit der Menschen ist extrovertiert. In der Regel müssen sich Intros also eher damit arrangieren, sich in einer Welt mit extrovertierten Menschen zurechtzufinden. Ihr reserviertes Verhalten wird häufig als Schüchternheit oder sogar als Arroganz interpretiert. Dabei sind sie meist vollkommen im Einklang mit sich und ihrer Umwelt und lieben und brauchen es, ihr Umfeld zu beobachten und darüber nachzudenken. Mit Schüchternheit oder Arroganz hat das weniger zu tun. Ein aufklärendes Gespräch mit den Lehrern ist dann ratsam, wenn euer Kind das Gefühl hat, sich verändern zu müssen, wenn es gemobbt wird oder wenn die Noten zu schlecht sind. Ob die Lehrer mit Verständnis reagieren, ist leider eine andere Sache. Dennoch ist es wichtig, dass ihr die Probleme vor ihnen ansprecht. Im privaten Alltag ist es wichtig, dass ihr Sprüche wie “geh doch endlich mal mit den Nachbarskindern spielen” oder “sei doch nicht so schüchtern” vermeidet. Diese bewirken eher Verunsicherung und können dem Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein eures Nachwuchses schaden.
Gemeinsam Schulregeln aufstellen
Damit euer Kind bei der mündlichen sowie bei der Gruppenarbeit nicht zu schlecht benotet wird, könnt ihr gemeinsam eine Abmachung treffen. Meldet es sich beispielsweise gar nicht, wäre eine mögliche Regelung, dass es sich pro Schulstunde ein bis zwei Mal mündlich einbringt. Auch bei den Gruppenarbeiten muss euer Kind nicht der totale Überflieger sein. Versucht ihm nahe zu bringen, dass es in der Gruppe darum geht, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen und es dafür eine Note gibt. Übrigens meldet sich ein introvertiertes Kind nur selten im Unterricht, weil es erst mal lange über eine Frage oder Aufgabe nachdenkt. Es will schlichtweg nichts Falsches sagen. Auch hier ist eure Initiative gefragt. Erklärt ihm, dass nicht jede Antwort perfekt durchdacht sein muss und dass es die Masse der Mitschüler auch so handhabt. Verdeutlicht ihm, dass auch Fehler dazugehören und selbst ihr noch welche macht. Eben diese macht ein Intro nur sehr selten. Nicht nur, weil er sich nicht so häufig am Unterricht beteiligt, sondern auch, weil er meist sehr intelligent und wissbegierig ist.
Intensive Freundschaften
Ein Intro wählt seine Freunde sehr genau aus. Meist genügen ihm ein bis zwei enge Spielkameraden. Neue Freundschaften zu knüpfen, fällt ihm nicht leicht. Dennoch könnt ihr ihn auch mal sanft dazu animieren, bei einem neuen Kontakt am Ball zu bleiben, wenn ihr das Gefühl habt, dass sich die beiden auf den ersten Blick sympathisch waren. Ein Anreiz wäre zum Beispiel, dass sie ein gemeinsames Hobby vertiefen oder ins Kino gehen. Dann muss euer Sprössling nicht unentwegt reden. Druck solltet ihr allerdings nicht auf ihn ausüben. Habt ihr das Gefühl, dass euer Nachwuchs seine wenigen Freunde zu selten sieht, könnt ihr ihm Aktivitäten vorschlagen, die sie schon mal gerne zusammen unternommen haben. Verdeutlicht eurem Kind, dass es auch mal in eine Situation kommen könnte, in der es Hilfe oder Beistand durch einen Freund benötigt. Das kann ihm noch mal die Wichtigkeit einer Freundschaft bewusst machen. Habt ihr den Platz und die Zeit für ein Haustier, kann dieses den Alltag eures Kindes ebenfalls bereichern.
Rückzugsorte auf Partys und Co.
Familienfeste und Geburtstagspartys von Freunden oder auch nur spontane Besuche mag ein introvertiertes Kind selten. Am besten führt ihr einen gemeinsamen Kalender, in den ihr alle wichtigen Ereignisse eintragt. Am Wochenende könnt ihr zum Beispiel die Aktivitäten für die folgende Woche und den Ablauf besprechen. So kann sich euer Kind mental darauf einstellen. Wenn es ihm während des Ereignisses zu viel Trubel ist, sucht ihm einen Rückzugsort, an dem es trotzdem noch Teil des Geschehens ist. Das kann beispielsweise die Küche sein. Dort kann es beim Abwasch oder beim Anrichten des Essens helfen. Seid ihr auf eine Erwachsenenparty eingeladen und es wird länger, packt eurem Kind ein Buch, etwas zum Malen und/oder eine Kuscheldecke mit ein, damit es sich dann irgendwann zurückziehen kann. So könnt ihr auch mit spontanen Besuchen vorgehen. Natürlich könnt ihr aber auch mal ein Auge zudrücken und einen Babysitter zu euch nach Hause holen, wenn euer Kind partout nicht mitkommen möchte. Kinderfreie Zeit ist ja hin und wieder auch mal ganz nett! Achtet aber darauf, es nicht zu sehr abzuschotten. In gewissen Situationen ist es wichtig, dass es lernt, Kompromisse einzugehen. Dazu gehört zum Beispiel auch Smalltalk, dem man spätestens im erwachsenen Alter gewappnet sein sollte. Da ein Intro ein guter Zuhörer ist, hat er damit sogar schon die halbe Miete.
Introversion vs. Hochsensibilität
Seit 1997 gibt es eine weitere psychologische Definition einer Charaktereigenschaft, die mit der Introversion häufig gleichgesetzt beziehungsweise verwechselt wird: die Hochsensibilität. Auf diesem Gebiet herrschen allerdings noch viele Unklarheiten. Der Hauptunterschied besteht aber bislang darin, dass hochsensible Menschen auf äußere Reize sehr sensibel und gestresst reagieren, während introvertierte Menschen wenig kontaktfreudig sind. Allerdings kann auch beides zusammen auftreten. Ganz egal, ob euer Kind introvertiert, hochsensibel oder beides ist: Akzeptiert es so wie es ist, geht auf seine Bedürfnisse ein und findet für bestimmte Situationen Kompromisse, mit denen alle Beteiligten zurechtkommen.