Junger Mann sitzt am Schreibtisch und reibt sich gestresst die Augen

Hochsensibilität: Fluch oder Segen?

Menschen, die häufig sehr sensibel oder feinfühlig sind, werden gemeinhin auch als Sensibelchen bezeichnet. Es gibt allerdings noch einen weiteren Begriff, der sich seit den 1990er-Jahren immer stärker verbreitet: Hochsensibilität beziehungsweise Hypersensibilität (englisch Sensory Processing Sensitivity, kurz: SPS oder Environmental Sensitivity). Wir erklären in diesem Artikel, welche Merkmale Hochsensibilität hat, wie sie diagnostiziert wird, ob es sich dabei um eine Krankheit handelt und welche Strategien der Psychologie helfen können.

Wie merkt man, dass man hochsensibel ist?

Laut der US-amerikanischen Psychologin Dr. Elaine Aron, die den Begriff Hochsensibilität in den 1990er Jahren prägte, gibt es vier Indikatoren für Hochsensibilität:

  • niedrige sensorische Reizschwelle
  • sehr starke und schnelle Reaktion auf verschiedene Reize
  • tieferes Verarbeiten – Emotionen schwingen länger nach
  • reizintensive Situationen werden vermieden
Infografik mit den vier Indikatoren für Hochsensibilität

© BIG / BIG

Hat Hochsensibilität nur Nachteile?

Hochsensible Menschen nehmen zum Beispiel Geräusche, Gerüche, Geschmack, Hunger und Schmerz intensiver wahr als andere. Dies kann schneller als bei anderen Menschen zu einer Überforderung beziehungsweise Reizüberflutung führen, in bestimmten Situationen kann es sich aber auch positiv auswirken. Während Menschenmassen oder die Arbeit in einem Großraumbüro eher negative Auswirkungen haben, können bereits ein kurzer Spaziergang in der freien Natur oder Sex als überdurchschnittlich schönes und intensives Erlebnis wahrgenommen werden. In Krisen reagieren Hypersensible meist sehr klar und lösungsorientiert.

Zudem betonen Experten, dass Gefühle und Wahrnehmung ein großes Geschenk sein können, wenn wir mit unserem Verstand nicht mehr weiterkommen. Hochsensibilität hat also nicht nur Nachteile. Der „tiefe Fall“ kommt bei Hochsensiblen allerdings häufig nach intensiven Ereignissen. So kann ihr hohes Maß an Empfindsamkeit und Empathie leider schnell zu einer Belastung werden. Beispielsweise wenn sich die Stimmungen anderer negativ auf die eigene Stimmung auswirkt, sie mehr Energie in das Wohlbefinden anderer, als in das eigene investieren oder sich mit so viel Inbrunst für eine Sache einsetzen, dass sie danach vollkommen ausgebrannt sind oder sogar erkranken. Zudem empfinden sie sich oft als Einzelgänger oder sogar Außenseiter.

Wie wird Hochsensibilität diagnostiziert?

Bislang gibt es nur die Möglichkeit, Hochsensibilität mithilfe eines wissenschaftlich geprüften Fragebogens, entwickelt von Elaine Aron, zu diagnostizieren. Allerdings ist dieser kein eindeutiges Indiz für Hochsensibilität beziehungsweise können die jeweiligen erhöhten Werte beispielsweise auch auf eine Angststörung hindeuten.

Erwiesen ist, dass Menschen Reize unterschiedlich wahrnehmen und verarbeiten und dass beides bei Hochsensiblen vermutlich wesentlich intensiver ausgeprägt ist.

Zudem deuten Studien mit Magnetresonanztomografie (MRT) darauf hin, dass bestimmte Hirnareale bei Hochsensiblen aktiver sind als bei anderen.

Um ein Gespür dafür zu bekommen, wie hoch oder niedrig Ihre Sensibilität ist, haben wir einen Test mit acht Fragen für Sie vorbereitet. In diesem Fragebogen ist es entscheiden, wie viele "Ja" Sie am Ende notiert haben. Je mehr "Ja" Sie bei den Fragen haben, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie hochsensibel sind. 

1. Fühlen Sie sich oft überwältigt von starken sensorischen Reizen wie lauten Geräuschen oder grellem Licht?
2. Haben Sie eine tiefe und komplexe Innenwelt, und denken Sie oft intensiv über Ihr eigenes Leben nach?
3. Empfinden Sie häufig starke Emotionen, sowohl Ihre eigenen als auch die von anderen Menschen?
4. Werden Sie leicht von den Stimmungen anderer Menschen beeinflusst?
5. Fühlen Sie sich in der Umgebung vieler Menschen oder mit viel Aktivität häufig unwohl oder gestresst?
6. Brauchen Sie nach sozialen Interaktionen oder am Ende eines arbeitsreichen Tages mehr Erholungszeit als andere Menschen?
7. Nehmen Sie oft Feinheiten und Details in Ihrer Umgebung wahr, die anderen zu entgehen scheinen?
8. Fühlen Sie sich manchmal durch das viele Verstehen und Einfühlen in andere emotional erschöpft?

Bitte beachten Sie, dass sich das Thema Hochsensibilität nicht auf diese acht Fragen beschränken lässt, der von Elaine Aron entwickelte Fragebogen enthält mehr als 20 Fragen. Eine genaue Diagnose sollten Sie daher immer mit Ihrem Arzt oder Ärztin besprechen.

Ist Hypersensibilität eine Krankheit?

Hochsensibilität ist keine Erkrankung. Daher kommen auch keine speziellen Therapien oder Medikamente zum Einsatz. Forscher definieren Hypersensibilität eher als eine Art Persönlichkeitsmerkmal beziehungsweise als ein ganz bestimmtes Temperament – und zwar dem des überlegten Handelns und Abwägens.

Allerdings lässt sich bei den sogenannten „Big Five Persönlichkeitsfaktoren“ bei hochsensiblen Menschen ein Muster erkennen. Sie sind:

  • sehr offen für neue Erfahrungen
  • emotional instabil und introvertiert
  • durchschnittlich gewissenhaft
  • durchschnittlich verträglich/nachgiebig

Die Varianz von Hochsensibilität ist aber noch wesentlich größer. Daher kann man auch nicht von einer ganz bestimmten Persönlichkeit oder einem immer wiederkehrenden Muster sprechen.

Gibt es Unterschiede bei den Geschlechtern sowie zwischen Erwachsenen und Kindern?

Man schätzt, dass zwischen 15 und 30 Prozent aller Menschen hochsensibel sind. Hochsensibilität kann angeboren sein oder sich erst im Laufe des Lebens entwickeln. Hier spielen laut Experten vor allem häufige stressbelastete Situationen und traumatische Erlebnisse eine elementare Rolle. Man geht davon aus, dass es ungefähr genauso viele hochsensible Männer wie Frauen gibt. Allerdings erkennen und zeigen es Männer seltener, da ein hochempfindsamer Mann längst nicht so akzeptiert wird wie eine hochempfindsame Frau. Hochsensible Kinder haben es meist schwerer als hochsensible Erwachsene, da sie eher fremdbestimmt durch ihren Alltag gehen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass Hochsensibilität bei Kindern früh erkannt wird, um sie bestmöglich unterstützen zu können.

Kleiner Junge hält Hände vor sein Gesicht

Hochsensibilität beim Kind

Hochsensible Kinder haben es allerdings im Alltag oft schwerer als hochsensible Erwachsene. Denn schnell fallen abwertende Bezeichnungen wie „Sensibelchen“ oder die Betroffenen gelten als überempfindlich. Dabei ist es gar nicht so schwer, uns dafür zu „sensibilisieren“, hochsensible Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind.
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Welche Strategien gibt es für Hochsensible?

Ein Verständnis für Hochsensibilität zu haben, ist für Betroffene sehr wichtig. Da ihre Intuition meist sehr gut funktioniert, können sie auch ein sehr gutes Gespür für Warnsignale entwickeln, rechtzeitig erkennen, wann sie eine Pause benötigen und sich bewusst machen, welcher Lebensstil, welche Hobbys und welcher Beruf ihnen guttun. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Betroffenen ihre Hochsensibilität annehmen und diese nicht verdrängen oder sich dafür schämen. Bei Kindern ist es besonders schwierig, da sie ihre Feinfühligkeit ähnlich wie Männer oft verdrängen und denken, mit ihnen stimme etwas nicht. Gerade dann, wenn das Umfeld dem Kind suggeriert, dass es „nicht immer so empfindlich sein soll“.

Das kann bei Hochsensibilität helfen:

  • regelmäßige Ruhepausen (um einer Überreizung/Überforderung zuvorzukommen)
  • Sich in kleinen Dosen mit stressauslösenden Gerüchen, Geräuschen etc. konfrontieren, anstatt sie permanent zu meiden.
  • Alltag nicht zu vollpacken, also die Anzahl an äußeren Reizen reduzieren
  • ausreichend Schlaf
  • Verständnis und Unterstützung durch Familie und Freunde
  • Sportarten wie zum Beispiel Yoga, Pilates, Walking oder Schwimmen
  • Entspannungstechniken wie Meditation, Progressive Muskelentspannung oder Autogenes Training
  • Austausch mit anderen hochsensiblen Menschen
  • Selbsthilfegruppen
  • Coaching für hochsensible Menschen
  • Psychotherapie

Wie kann ich eine hochsensible Person unterstützen?

Hochsensibilität bedeutet nicht, dass man die Person laufend in Watte packen muss, aber natürlich auch nicht, sie zu belächeln. Wichtig ist, dass sie weiß, dass sie auf Verständnis stößt, wenn ihr etwas zu viel wird und daher eine kurze Pause benötigt und bei Bedarf unterstützt wird. Wie genau diese Unterstützung aussieht, muss natürlich immer individuell entschieden werden. Stellt eine hochsensible Person zum Beispiel plötzlich fest, dass ihr der geplante Ausflug doch zu viel wird, sollte man dafür Verständnis haben. Auch in einem Großraumbüro können Arbeitskollegen unterstützen. Ist die hochsensible Person beispielsweise von lauten Telefonaten, der grellen Schreibtischlampe, zu viel Parfum oder starkem Essensgeruch überreizt, kann man bereits mit kleinen Veränderungen im Umgang viel bewirken.

Kinder benötigen aufgrund ihrer Fremdbestimmtheit viel Verständnis und Unterstützung durch Familie, Freunde und Pädagogen. Der Alltag des Kindes sollte auf jeden Fall nicht zu vollgepackt sein. Außerdem kann es sinnvoll sein, auch die Erzieher oder Lehrer zu informieren.

Menschen in Meditationshaltung

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Häufig gestellte Fragen zum Thema „Hochsensibilität“