Tabletten holen während der Arbeitszeit kein Dienstgang

Arbeitnehmende stehen nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wenn sie regelmäßig einzunehmende Medikamente nachträglich aus ihrem Auto holen und auf dem Rückweg vom Parkplatz zu ihrer Arbeitsstätte stürzen. Das entschied das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg.

Verhandelt wurde der Fall einer Arbeitnehmerin, die an einem Arbeitstag im Juli 2020 kurz vor 6 Uhr morgens ihre Frühschicht antrat. Sie war mit ihrem Pkw zur Arbeit gefahren und hatte diesen in der Nähe der Arbeitsstätte auf einem öffentlichen Parkplatz abgestellt. Gegen 9:30 Uhr bemerkte sie, dass sie die von ihr regelmäßig einzunehmenden Epilepsie-Tabletten in ihrem Pkw vergessen hatte. Da ihre Schicht erst gegen 11 Uhr enden sollte, ging sie zwischendurch zu ihrem Auto, um die Tabletten zu holen. Auf dem Rückweg zum Arbeitsplatz stürzte sie und brach sich das rechte Handgelenk.

Die Berufsgenossenschaft und das zuständige Sozialgericht lehnten es ab, dieses Ereignis als Arbeitsunfall anzuerkennen. Das Landessozialgericht hat die Entscheidung der Vorinstanzen bestätigt. Die Einnahme von Medikamenten sei dem persönlichen, nicht versicherten Lebensbereich zuzuordnen. Hätte die Frau mit der Einnahme der Epilepsie-Tabletten bis zum Schichtende gewartet, wäre ihre Arbeitsfähigkeit nach Einschätzung des behandelnden Arztes nicht gefährdet gewesen. Bestehe ein bloß abstraktes Risiko, dass es ohne die regelmäßige Einnahme der Tabletten während der Arbeitszeit zu einem Epilepsie-Anfall komme, so liege die Einnahme vorrangig im privaten Interesse und damit im nicht versicherten Bereich.

Hingegen könne laut BSG-Rechtsprechung ein zum Versicherungsschutz führendes, überwiegendes betriebliches Interesse bestehen, wenn vergessene Gegenstände geholt würden, die zwingend benötigt werden, um die Arbeit fortzusetzen, etwa eine Brille oder eines Spindschlüssels. Ebenso hat das BSG entschieden, dass der Weg zum Mittagessen während einer vollschichtigen beruflichen Tätigkeit grundsätzlich versichert ist. Diese Wertung lasse sich aber nicht auf das Holen vergessener Tabletten übertragen, wenn deren Einnahme nicht zwingend erforderlich sei, um die Arbeit fortzusetzen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, die Revision wurde jedoch nicht zugelassen.

Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. September 2024 (Aktenzeichen: L 21 U 40/21)