Bei einer vaginalen und bislang komplikationslosen Geburt erblickt das Baby zuerst mit dem Kopf das Licht der Welt (Schädellage). Darauf folgt mit der nächsten Wehe der schwierigste Part – die Schultern müssen den Geburtskanal beziehungsweise den Beckeneingang und -ausgang durch eine schnelle Rotation durchqueren, damit der restliche Körper folgen kann.
Was ist eine Schulterdystokie?
Während der Geburt müssen sich die Schultern buchstäblich durch das mütterliche Becken schrauben. In seltenen Fällen schaffen es die Schultern des Babys allerdings nicht, den Beckeneingang- oder -ausgang zu passieren. Bleibt diese wichtige Schulterrotation also aus, bleibt die Schulter hinter dem Schambein der Mutter hängen und es kommt zu einer verzögerten Geburt beziehungsweise zum Geburtsstillstand, der für das Ungeborene lebensbedrohlich sein kann. Die Schulterdystokie tritt bei etwa bei ein bis drei Prozent aller Geburten auf.
Es gibt zwei Schulterdystokie-Arten
- Hoher Schultergradstand („Turtle-Phänomen“) Beim hohen Schultergradstand bleiben die Schultern des Kindes bereits im mütterlichen Beckeneingang stecken. Von außen ist der hohe Schultergradstand am sogenannten „Turtle-Phänomen“ erkennbar: Weil die Schulter gleich zu Beginn des Geburtskanals feststeckt, zieht sich der Kopf des Kindes wie der Kopf einer Schildkröte zurück.
- Tiefer Schulterquerstand Der tiefe Schulterstand bezeichnet das Hängenbleiben der Schultern am Beckenausgang. Diese Geburtskomplikation kann die Hebamme feststellen, indem sie die Schultern auf dem Beckenboden ertastet.
Was kann die Schulterdrehung verhindern?
Es gibt zwei Gründe für die verzögerte oder ausbleibende Schulterdrehung:
- Primäre Schulterdystokie:mechanische Behinderung, weil das Baby sehr groß ist, oder eine ungünstige Beckenposition der Mutter
- Sekundäre Schulterdystokie:Reflexe des Babys sind durch Geburtsstress/zu schnelle Geburt gestört/verlangsamt
Wodurch steigt das Risiko einer Schulterdystokie?
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Makrosomie
Der häufigste Grund ist die Makrosomie: ein sehr großes und schweres Baby (über 4.000 Gramm) – macht zwei Drittel der Schulterdystokie-Fälle aus. Das Risiko ist auch höher, sofern bereits bei vorherigen Geburten eine fetale Makrosomie bestand. Das tatsächliche Risiko ist allerdings schwer kalkulierbar, da ungeborene Babys meist leichter geschätzt werden, als sie tatsächlich sind.
Adipositas bei der Mutter
Ebenfalls ein häufiger Grund (rund 40 Prozent der Fälle) für die Geburtskomplikation ist eine übergewichtige Mutter (dazu zählt auch eine starke Gewichtszunahme in der Schwangerschaft). Meist in Zusammenhang mit der Makrosomie.
Diabetes bei der Mutter
Ein hohes Geburtsgewicht kann außerdem durch einen Diabetes (Diabetes mellitus und Schwangerschaftsdiabetes/Gestationsdiabetes) der Mutter entstehen. Ist dies der Grund für die Schulterdystokie, steigen außerdem die Risiken für Verletzungen bis hin zum Tod des Babys während oder nach der Geburt.
Weitere mögliche Gründe
- überschrittener Geburtstermin (Makrosomie)
- Schulterdystokie bei vorherigen Geburten (vor allem bei übergewichtigen Frauen)
- zu schneller Geburtsverlauf (beispielsweise mithilfe von Saugglocke oder Zange)
- sehr schmales Becken der Mutter
- kleine Mutter (unter 1,55 m)
- Anwendung des umstrittenen Kristeller-Handgriffs („Kristellern“) vor der Schulterrotation (Hebamme drückt plötzlich kräftig auf den Bauch der Mutter, um die Geburt voranzutreiben)
- fortgeschrittenes Alter der Mutter (möglicherweise besteht Zusammenhang zwischen Diabetes und Makrosomie)
- nach eingeleiteten Wehen
- Schulterbreite des Babys größer als der Kopf
Welche Risiken hat eine Schulterdystokie beim Baby?
Sauerstoffmangel
Die Geburtskomplikation kann durch eine abgedrückte Nabelschnur (Nabelschnurkompression) einen lebensbedrohlichen Sauerstoffmangel (Hypoxie) zur Folge haben. Denn obwohl der Kopf des Kindes bereits geboren wurde, erfolgt die Atmung noch nicht vollständig über die Lunge. Das Baby ist also immer noch zusätzlich von der Sauerstoffzufuhr über die Nabelschnur abhängig. Ebenfalls besteht das Risiko einer vorzeitigen Plazenta(ab)lösung, wodurch es auch zum Sauerstoffmangel kommt. Ein Sauerstoffmangel kann zu bleibenden Hirnschäden und zum Tode führen.
Armlähmung
Um die Schulterdystokie aufzulösen, kann es durch geburtshilfliche Maßnahmen zu Nervenverletzungen der Schultern, Arme und Brust kommen. Daraus können vorübergehende oder dauerhafte Armlähmungen (Plexusparese) resultieren.
Bruch des Oberarmknochens oder Schlüsselbeins
Auch können geburtshilfliche Maßnahmen zu einem Bruch des Oberarmknochens (Humerus) oder Schlüsselbeins (Klavikula) führen.
Welche Risiken bestehen bei der Mutter?
In der Regel besteht für die Mutter keine Lebensgefahr, aber ein erhöhtes Verletzungsrisiko.
Mögliche Verletzungen
- Scheiden-, Zervix- oder Dammriss vierten Grades
- Beckenbodenverletzungen
- Gebärmutterriss (Uterusruptur) - sehr selten
- hoher Blutverlust
- erhöhtes Nachblutungsrisiko
- Blasenstörungen
- Infektionen
Wie löst man eine Schulterdystokie auf?
Solange es dem Baby gut geht und die Geburt erst kurz stagniert, kann zumindest kurz abgewartet werden, ob sich das Baby doch noch von selbst in die richtige Position manövriert. Wichtig ist in dieser Situation, dass die Geburtshelfer*innen mit euch kommunizieren, damit ihr wisst, welche Schritte folgen. So habt ihr beispielsweise das Recht, Maßnahmen wie den Kristeller-Handgriff oder das Ziehen am Kopf des Kindes zu untersagen beziehungsweise sollte Letzteres auf keinen Fall erfolgen.
Klappt die Rotation nicht von allein, sind eine Dehnung des Beckenbodens (Beckenbodenmobilisation) und eine Positionsänderung (der Symphyse) notwendig.
Dabei kommen verschiedene Manöver zum Einsatz
- Gaskin-Manöver:Vierfüßlerstand - Abstand zwischen Scham- und Steißbein wird größer und die Schulter kann sich lösen
- McRoberts-Manöver:Strecken und Beugen der Beine in Rückenlage
Führen die Manöver nicht zum Erfolg, wenden die Geburtshelfer*innen spezielle Handgriffe beziehungsweise entweder das Rubin- oder das Jacquemier-Manöver an, um die Schultern eures Babys im Geburtskanal händisch zu drehen.
Weitere Maßnahmen
- wehenhemmende Mittel
- Dammschnitt - umstritten, da er nur den Scheidenausgang vergrößert, nicht aber den Beckeneingang
Letzte Notfall-Maßnahmen: Zavanelli-Manöver und Notkaiserschnitt
Erst wenn alle genannten Versuche missglückt sind, wird das Zavanelli-Manöver angewandt, bei dem der Kopf zurück in den Geburtskanal geschoben wird, um dann einen Notkaiserschnitt durchführen zu können.
Kann man einer Schulterdystokie vorbeugen?
Wirklich vorhersehbar ist eine Schulterdystokie nicht. Man kann ihr also nur bedingt vorbeugen. Beispielsweise indem Schwangere einen gesunden Lebensstil pflegen. Bei bestehenden Risiken wird häufig zu einem geplanten Kaiserschnitt geraten. Solltet ihr also ein erhöhtes Risiko dafür haben, könnt ihr bereits im Vorfeld mit den Geburtspersonal einen Notfall-Plan besprechen und (schriftlich) festlegen, welche Maßnahmen ihr wünscht und welche ihr ablehnt. Und natürlich könnt ihr euch auch ohne erhöhtes Risiko auf der Geburtsstation eurer Wahl erkundigen, ob und wie sie auf diese Geburtskomplikation vorbereitet sind. Beispielsweise ist es sinnvoll, dass ein/eine Mediziner*in der Neonatologie anwesend ist. Seid aber bitte nicht zu besorgt, denn die Schulterdystokie ist wirklich sehr selten. Beruhigend ist auf jeden Fall, dass die meisten Babys trotz Schulterdystokie gesund zur Welt kommen.