Mädchen und Junge im Kleinkindalter in stereotypischer Kleidung spielen mit einem Teddybären auf dem Fußboden, um sie herum liegt noch mehr Spielzeug

Baby X-Experimente: Raus aus der Stereotypen-Falle

Habt ihr schon mal von den Baby X-Experimenten gehört? Seit den 1970er-Jahren demonstrieren sie uns, dass wir Mädchen und Jungen unterschiedlich behandeln, unterschiedlich charakterisieren und unterschiedliche Dinge von ihnen erwarten. Dabei geht die Stereotypen-Rechnung biologisch gesehen gar nicht auf.

Auch wenn immer mehr Eltern in den letzten Jahren bemüht sind, ihren Nachwuchs geschlechtsneutral beziehungsweise abseits von Geschlechterklischees zu erziehen, sind in unserer Gesellschaft Geschlechterstereotype immer noch gängig. Nicht zuletzt, weil der Großteil der Erwachsenen eben so aufgewachsen ist. Wir haben es somit unserer Sozialisation zu verdanken, dass wir tradierte Rollenbilder immer noch mit uns herum- und auf unsere Nachkommen übertragen. Und genau deshalb benötigen wir sie auch, um uns in der Welt, in der wir leben zurechtfinden, mit ihr interagieren und uns selbst einordnen zu können. 

Ob Gender Reveal Parties in Rosa oder Hellblau, Sprüche wie „sei kein Mädchen", „Jungen weinen nicht" oder Attribute wie hysterisch, zickig, empfindlich und stutenbissig, die man meist bei Mädchen/Frauen verwendet – die Beispiele zeigen, dass wir immer noch weit entfernt davon sind, unsere Kinder und uns selbst nicht mehr in patriarchale Rollenbilder zu pressen.

Was sind Baby X-Experimente?

Baby X-Experimente gibt es seit 1975 und die Geschlechter-Studien belegen immer wieder, dass wir Kinder –  je nachdem, welches Geschlecht wir ihnen zuweisen – unterschiedlich ansprechen, sie anders berühren oder auf sie reagieren, sie anders charakterisieren und andere Erwartungen an sie haben. Dass wir immer wieder "gern" in die Rosa-Hellblau-Falle tappen, scheint uns oft gar nicht bewusst zu sein, denn obwohl die Erwachsenen bei den Experimenten oft angaben, dass ihr Verhalten nicht geschlechtsspezifisch sei, war es dies eben doch.

Einige wichtige Baby X-Experimente

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Baby X: „The effect of gender labels on adult responses to infants"

Die Auswirkung von Geschlechtsbezeichnungen anhand der Reaktionen Erwachsener auf Kleinkinder 

Für die erste Baby X-Studie aus dem Jahr 1975 untersuchten die Studienautor*innen Carol A. Seavey ,Phyllis A. Katz  und Sue Rosenberg Zalk das Verhalten und den Umgang Erwachsener mit einem drei Monate alten Baby, das den Proband*innen mal als Junge, Mädchen oder ohne Geschlechtsangabe vorgestellt wurde. Als nächstes ließ man die Teilnehmenden ein Spielzeug für das Kind auswählen. Sie konnten zwischen Beißring, Puppe und Football auswählen. Der Säugling im gelben Strampler wurde jeweils einem Drittel der Proband*innen als Mädchen (Mary), Junge (Johnny) und ohne Hinweis aufs Geschlecht vorgestellt. 

Die Ergebnisse:

Mary wurde häufiger die Puppe und Johnny der Football gereicht. 

Bei dem Kind ohne Geschlechtszuweisung wählten die Männer eher den neutralen Beißring und berührten das Baby weniger, während die Frauen eher zum stereotypischen Spielzeug (Puppe oder Football) griffen und Körperkontakt herstellten.

Bei dem Kind ohne Geschlechtszuweisung gingen 57 Prozent der Männer und 70 Prozent der Frauen davon aus, dass es ein Junge sei. Sie begründeten dies zum Beispiel damit, dass das Baby viel Kraft und wenig Haare habe. 

Damit lagen sie allerdings komplett falsch, denn es war in allen Fällen ein Mädchen.

Link zur Studie: Baby X: „The effect of gender labels on adult responses to infants" 

Sex Differences. A study of the Eye of the Beholder

Geschlechtsunterschiede: Eine Studie aus der Sicht des Betrachters/der Betrachterin.

1976 errieten bei dem Baby X-Experiment von John und Sandra Condry Männer und Frauen das Geschlecht eines neun Monate alten Babys anhand seiner Reaktionen auf drei unterschiedliche Spielzeugarten. Jeweils der Hälfte der Gruppe wurde gesagt, dass das Baby ein Mädchen bzw. ein Junge sei. Nur bei einem Spielzeug unterschied sich das Verhalten des Kindes im Vergleich zu den beiden anderen. Es reagierte aufgeregt und hatte Tränen in den Augen. Wurde den Proband*innen gesagt, es sei ein Mädchen, hielten sie es für „ängstlich“. Die Jungen-Gruppe charakterisierte das gleiche Kind dagegen als „verärgert“.

Link zur Studie: Sex Differences. A study of the Eye of the Beholder

Child gender influences paternal behavior, language, and brain function

Geschlecht des Kindes beeinflusst das Verhalten, die Sprache und die Gehirnfunktion des Vaters

Bei einem neueren X-Experiment von 2017 zeigten Väter deutlich, dass sie mit ihren Töchtern gefühlvoll-analytisch sprechen sowie sanfte Spiele wählen, wie zum Beispiel ihnen ein Lied vorsingen und mit ihren Söhnen eher leistungsorientiert sprechen und rauere Spiele spielen.

Link zur Studie: Child gender influences paternal behavior, language, and brain function

Drängen wir Kinder in Geschlechterrollen? Ein Experiment!

2018 wiederholte die WDR-Wissenschaftsendung Quarks ein Baby X-Experiment aus der BBC-Doku Girl toys vs boy toys: The experiment aus 2017. Darin stellten sie ältere Baby X-Experimente nach.

Link zum Quarks-Video: Drängen wir Kinder in Geschlechterrollen? Ein Experiment!

Link zum BBC-Video: Girl toys vs boy toys: The experiment - BBC Stories

Gender Bias in Pediatric Pain Assessment

Geschlechtsspezifische Voreingenommenheit bei der Schmerzbeurteilung bei Kindern

2019 zeigte eine Studie der Universität Yale, dass Erwachsene bei Kindern je nach Geschlecht die Schmerzintensität unterschiedlich beurteilen. So werden Mädchen eher als hysterisch und Jungen als stoisch charakterisiert. Daher nehmen sie den Schmerz bei Mädchen weniger ernst als bei Jungen, weshalb Jungen schneller geholfen wird. Bei dieser Vergleichsstudie wurden die Erwachsenen in zwei Gruppen unterteilt. Eine Gruppe bekam die Info, dass es sich bei dem Kind im Video um ein Mädchen handelt, die andere Gruppe, dass das Kind ein Junge sei. Allerdings handelte es sich in beiden Fällen um das gleiche Kind mit identischer Schmerzreaktion. 

Link zur Studie: Gender Bias in Pediatric Pain Assessment

Auswirkungen auf Diagnose und Behandlung

„Wir hoffen wirklich, dass diese Ergebnisse zu weiteren Untersuchungen über die mögliche Rolle von Vorurteilen bei der Schmerzbeurteilung und der Gesundheitsversorgung im Allgemeinen führen werden. Wenn die Phänomene, die wir in unseren Studien beobachtet haben, auf andere Kontexte übertragbar sind, hätte dies wichtige Auswirkungen auf Diagnose und Behandlung. Jegliche Vorurteile bei der Beurteilung von Schmerzen wären enorm wichtig, da sie die ungerechten Gesundheitsversorgungsleistungen verschlimmern können“, so der Studien-Zweitautor Joshua Monrad.

Quelle: YaleNews

Mit zwei Jahren beginnt die Geschlechtsidentität

Erziehungswissenschaftler*innen betonen, dass sich Kinder bereits mit rund zwei Jahren mit ihrem Geschlecht identifizieren und dieses weiter ausbilden. Damit gehen vor allem massig Erwartungen, die wir an das jeweilige Geschlecht haben, einher. Angefangen bei Äußerlichkeiten über Charaktermerkmale bis hin zu Fähigkeiten und Interessen. Und eben diese Stereotypen tragen wir in erster Linie nicht bereits mit der Geburt, also biologisch in uns, sondern sind vorwiegend ein Konstrukt unserer Gesellschaft und unserer Sozialisation. Eltern, Großeltern sowie die Werbung spielen dabei eine tragende Rolle.

Es gilt also, dass wir uns immer wieder reflektieren und unser Verhalten auf Neutralität und Unvoreingenommenheit überprüfen und so den Weg für eine individuelle Entfaltung und Gleichstellung zu ebnen.

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