Toxische Positivität: Wann uns positives Denken schadet

Letzte Aktualisierung: 11. November 2025Lesezeit: 6 Minuten
Sprüche wie „Denk einfach positiv“ oder „Anderen geht es viel schlimmer“ haben wir alle schon mal gehört oder selbst gesagt. Aber ist das noch okay oder schon toxische Positivität? Lest hier, wo toxic positivity beginnt, welche Folgen sie haben kann und wie ein gesunder Umgang mit allen Emotionen aussieht.
Toxische Positivität

Inhalt

Positivität und Optimismus sind wichtig, um uns zu motivieren, die Hoffnung nicht aufzugeben und dankbar zu sein. Demotivierend und sogar toxisch wird Positivität allerdings dann, wenn negative Emotionen verleugnet und verdrängt werden.
 

Was ist toxische Positivität?

Mit toxischer Positivität ist eine Haltung gemeint, die ausschließlich und somit zwanghaften Optimismus zulässt und negative Gefühle konsequent verleugnet, verdrängt und abwertet. Gefühle wie Wut, Traurigkeit, Ängste oder Zweifel sind also nicht willkommen. Ganz egal, ob wir gerade unseren Job oder einen geliebten Menschen verloren haben, (schwer) erkrankt sind oder wir betrogen wurden.

Laut Tabitha Kirkland, Psychologin und außerordentliche Professorin am Fachbereich Psychologie der University of Washington ist toxische Positivität eine Reaktion auf das eigene Leid oder das anderer, die aus einem Mangel an Empathie entsteht. Die zuhörende Person möchte zwar gerne helfen, fühlt sich bei der Konfrontation mit negativen Emotionen jedoch unwohl und reagiert mit toxischer Positivität.*

Quelle

  1. Right as Rain by UW Medicine:
    UW Medicine
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Typische Aussagen für toxic positivity

Toxic positivity tritt in alltäglichen Gesprächen, in den sozialen Medien, in Kalendersprüchen und als Slogans auf Kleidung und Ähnlichem auf. 

Häufig handelt es sich dabei um Sprüche wie:

  • „Denk einfach positiv, dann wird alles gut.“
  • „Sei nicht so negativ, andere haben viel schlimmere Probleme.“
  • „Alles passiert aus einem Grund.“
  • „Reiß dich zusammen und schau nach vorn.“
  • „Good Vibes only“ oder „No bad days“!
  • „Arbeite mal an deinem (positiven) Mindset!“

Social Media wimmelt von toxischer Positivität

Gerade auf Social Media ist toxic positivity verbreitet: Dort wird oft ein Bild vermittelt, das ausschließlich aus einem positiven Mindset, Erfolg, Glück und Selbstoptimierung besteht. 

Es gibt allerdings auch eine Gegenbewegung, die offen über Krisen, Erkrankungen und alltägliche emotionale Herausforderungen spricht und diese enttabuisiert. 

Es lohnt sich also, dann und wann zu überprüfen, ob einem der angezeigte Content und natürlich auch die Menschen im engsten Umfeld wirklich guttun oder ob man seinen Algorithmus im digitalen und im echten Leben mal wieder neu ausrichten beziehungsweise kritischer betrachten sollte. Denn nur, weil Menschen auf Instagram-, TikTok- oder Pinterest proklamieren, dass nur „good vibes only“ glücklich machen und nur Selbstoptimierung und ein positives Mindset zu Erfolg führen, ist es trotzdem nicht wahr. 

Warum ist toxische Positivität problematisch?

Unterdrückung von Gefühlen

Wer seine Emotionen nicht zulässt und aufarbeitet, sondern verdrängt, läuft Gefahr, dass sie immer stärker werden. Unverarbeitete Trauer, Wut oder Angst können sich in Stress, Schlafproblemen oder sogar körperlichen Symptomen niederschlagen. Das zeigt auch ein wissenschaftliches Experiment unter der Leitung von Lea Campbell-Sills: Die Teilnehmenden schauten sich für die Befragung einen traurigen Film an. Danach wurden sie schriftlich zu ihrem Erlebten und ihrer Emotionsregulation befragt. Alle reagierten mit vergleichbaren Emotionen. Der Unterschied: Die klinische Gruppe, die unter Angst- und Stimmungsstörungen litt, verdrängte ihre Emotionen stärker als die nicht-klinische Gruppe und erlebte sie dadurch umso intensiver. 

Gefühl der Isolation

Statt Verständnis werden Betroffenen Floskeln um die Ohren gehauen und ihre echten Emotionen kleingeredet. Das kann das Gefühl verstärken, mit den eigenen Problemen allein zu sein oder zu jammern, wenn man sie äußert.

Schuldgefühle

Wer glaubt, immer positiv denken zu müssen, empfindet zusätzliche Schuld, wenn ihm dies nicht gelingt. Dadurch verstärkt sich das Leiden, anstatt dass es gelindert wird. Oft sagt man sich dann auch selbst Sprüche wie: „Reiß dich jetzt mal zusammen" - betreibt also Self-Gaslighting.

Verlust von Authentizität

Dauerhafter Optimismus ist unecht und führt zu oberflächlichen Beziehungen. Echte Nähe entsteht erst, wenn man auch schwere Gefühle miteinander teilen darf und Mitgefühl und Unterstützung erfährt.

Konflikt- und Lösungsunfähigkeit

Das Leugnen und Unterdrücken negativer Emotionen führt dazu, dass wir Konflikten aus dem Weg gehen, anstatt uns durch ihre Botschaften Lösungen zu erarbeiten. Das wiederum führt unweigerlich zu Beziehungsproblemen. Beispielsweise wenn man als Eltern Schwierigkeiten damit hat, bei den eigenen Kindern negative Gefühle wie Ängste und Traurigkeit bei Jungen oder Wut bei Mädchen zuzulassen und sich mit ihnen gemeinsam damit auseinanderzusetzen. Werden Kinder von Anfang an darin bestärkt, zu ihren Gefühlen zu stehen, haben sie meist auch im Jugend und Erwachsenenalter weniger Scham und Ängste, sie zuzulassen und einen konstruktiven Umgang damit zu pflegen. Nicht nur im Umgang mit den eigenen Gefühlen, sondern auch, wenn es um negative Emotionen anderer Menschen geht. Falls ihr mehr Tipps zu dem Thema wünscht: „So lernen Kinder Empathie!"

Tipps für einen gesunden Umgang mit negativen Gefühlen

Das Gegenteil von toxischer Positivität bedeutet nicht, in Pessimismus zu verfallen. Es geht vielmehr darum, ein Gleichgewicht zwischen positiven und negativen Emotionen zu finden und kein Gefühl zu verbannen oder zu verbieten.

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    Gefühle anerkennen und akzeptieren

    Anstatt belastende Gefühle wegzuschieben, ist es wichtig, sie wahrzunehmen und anzuerkennen. Im ersten Schritt ist Akzeptanz hilfreich. Wenn man das Gefühl zulässt, statt es zu bewerten, hat es die Chance, kleiner zu werden. Allein diese Achtsamkeit kann bereits sehr befreiend sein.
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    Emotionen ausdrücken/kommunizieren

    Sprecht, sofern möglich, mit einer euch vertrauten Person über eure Gefühle. Dieser Mensch sollte euch eure Gefühle weder absprechen, noch diese be- oder abwerten. Im Gegenteil: Wer Sorgen teilt, sollte Verständnis und Unterstützung erfahren. Auch Schreiben, Malen, Musik und weitere Achtsamkeitsübungen können dabei helfen.

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    Negative Gefühle sind Werkzeuge

    Negative Gefühle gehören zum Leben dazu. Sie zeigen uns, dass wir Bedürfnisse, Werte und Grenzen haben. Sie helfen uns somit auch dabei, für uns und andere einzustehen – unser Leben aktiv zu beeinflussen. Fragt euch zum Beispiel, was euch eure Gefühle mitteilen wollen bzw. ob sie hilfreich sind. So kann Wut beispielsweise ein positiver Antrieb für Veränderung sein und Traurigkeit kann dabei helfen, einen Verlust zu verarbeiten. Irrationale Ängste und Katastrophisierung können wir dagegen mindern, indem wir uns fragen, ob uns diese Gefühle gerade dienlich sind.
    Ängste überwinden und Selbstvertrauen stärken: Mentaltrainerin Klara Fuchs gibt Tipps
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    Mitgefühl mit anderen

    Wenn euch jemand seine Sorgen anvertraut, braucht er in der Regel keine optimistischen Parolen, sondern echtes Zuhören, Mitgefühl und Wertschätzung.

    Folgende Sätze stärken eine vertrauensvolle Beziehung:
    „Ich verstehe, dass es dir gerade schwerfällt.“

    „Es ist völlig okay, so zu fühlen.“

    „Möchtest du, dass ich dir einfach zuhöre oder möchtest du gemeinsam mit mir nach Lösungen suchen?“

    Auch (ungefragte) Ratschläge können "Schläge" sein. Das Zuhören unterschätzen wir dagegen oft, obwohl es bereits dazu führen kann, dass sich unser Gegenüber besser fühlt und falls notwendig in seinem eigenen Tempo und durch eigene Veränderungen Lösungen findet.
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    Seid menschlich und authentisch

    Ein gesunder Umgang mit Emotionen bedeutet, das gesamte Spektrum menschlicher Gefühle zu akzeptieren. Traurigkeit, Wut und Angst sind somit ebenso Teil des Lebens wie Freude, Hoffnung und Liebe. Wer sich erlaubt, alles zu fühlen, lebt authentischer, baut tiefere Beziehungen auf und findet letztlich auch nachhaltigeres Wohlbefinden.

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Verfasst von
BIG Redaktion