Mädchen im Grundschulalter macht Hausaufgaben und zieht sich dabei das Heft wie einen Hut über den Kopf. Sie wirkt unkonzentriert.

Auffällig unauffällig: ADHS-Symptome bei Mädchen

Dass sich ADHS-Symptome bei Mädchen meist von den Symptomen bei Jungen unterscheiden, wird in den letzten Jahren immer häufiger diskutiert. Eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung - kurz ADHS - ist keine neue Erkrankung, und dennoch gilt sie bei Mädchen und Frauen mittlerweile als unterdiagnostiziert und unterbehandelt, weshalb Expert*innen von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. So wird derzeit ADHS bei Jungen immer noch drei- bis viermal häufiger diagnostiziert als bei Mädchen. Warum eigentlich und inwiefern kann sich ADHS bei Mädchen und Jungen unterscheiden?

Laut der KIGGS-Studie des Robert Koch Instituts aus dem Jahr 2018 sind derzeit mehr als 13.000 Kinder und Jugendliche im Alter von drei bis 17 Jahren von ADHS betroffen. Davon sind offiziell 6,5 Prozent Jungen und 2,3 Prozent Mädchen.

Warum ist ADHS bei Mädchen unterdiagnostiziert?

Männliche Symptome bestimmen Diagnosekriterien

Bislang wurde in Studien kaum zwischen den Geschlechtern unterschieden, da vornehmlich Jungen daran teilgenommen haben und die Diagnosekriterien dementsprechend auf die männlichen Symptome abgestimmt sind. Bereits seit Anfang der 1990er-Jahre empfehlen deshalb Expert*innen wie die Psychologen Rob McGee und Michael Feehan der neuseeländischen University of Otago, dass die Diagnosekriterien in Form von Tests angepasst werden müssen.

Vereinzelte Studien zeigen immerhin, dass Mädchen ihre Symptome häufiger nach innen kehren (internalisieren) als Jungen und dementsprechend sogar eher intro- als extrovertiert sind.

Vorwiegend unaufmerksames Erscheinungsbild

ADHS bei Mädchen und Frauen zeigt sich seltener als körperliche Unruhe – auch Zappelphilipp-Syndrom genannt. Bei ihnen ist das Aufmerksamkeitsdefizit meist ausgeprägter. Man spricht hierbei von unterschiedlichen Erscheinungsbildern beziehungsweise von ADHS mit einer bestimmten Symptomatik (kein Subtyp!) und nicht mehr von ADHS und ADS.

Die drei ADHS-Erscheinungsbilder

  • ADHS mit vorwiegend unaufmerksamem Erscheinungsbild (früher ADS) - tritt am häufigsten bei Mädchen auf.
  • ADHS mit vorwiegend hyperaktiv-impulsivem Erscheinungsbild
  • ADHS mit kombiniertem Erscheinungsbild

Daher ist es wichtig, das Aufmerksamkeitsdefizit („Verträumtsein“) gerade bei Mädchen unbedingt als mögliches (Haupt-)Symptom ernst zu nehmen und es nicht herunterzuspielen, weil möglicherweise die Hyperaktivität fehlt oder geringer ausgeprägt ist. Eine Studie kommt hierbei zu dem Schluss, dass die unterschiedlichen Symptome beziehungsweise Erscheinungsbilder mit den Sexualhormonen zusammenhängen.

Sozialisation

Außerdem geht man davon aus, dass Mädchen aufgrund ihrer Sozialisation überangepasst sind, wodurch sich die Symptome wenn überhaupt erst spät bemerkbar machen. Verhaltensweisen wie Unauffälligkeit und Introvertiertheit gilt bei Mädchen immer noch als typisches oder sogar erwünschtes Verhalten. Erst in den letzten Jahren sind die symptomatischen ADHS-Unterschiede stärker in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt, wodurch viele Frauen erst jetzt und nach jahrzehntelangen Beschwerden, falschen Diagnosen, einem hohen Leidensdruck und dem Gefühl von „nicht richtig zu sein“ die Diagnose ADHS erhalten. Nicht zuletzt, weil sich die Symptome bei Frauen ab dem Teenageralter häufig verstärken. 

Trotzdem kann ADHS immer noch übersehen werden, denn je höher der Intellekt eines Mädchens ist, desto länger kann es laut Studien die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung verbergen. Auch entwickeln Betroffene mit der Zeit unterschiedliche Strategien (Coping-Mechanismen), um mit bestimmten Emotionen oder Verhaltensweisen umzugehen. Es ist somit eine falsche Annahme, dass sich ADHS mit dem Älterwerden verwächst. Wahr ist dagegen, dass sich ADHS und der Umgang damit verändert.

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ADHS-Symptome bei Mädchen und Frauen

Behaltet also immer im Hinterkopf, dass es bei ADHS nicht die einen Symptome in gleicher Ausprägung gibt, sondern dass die Symptome immer individuell variieren und unterschiedlich stark ausgeprägt sein können.

Häufige ADHS-Symptome bei Frauen und Mädchen

  • Unaufmerksamkeit/Unkonzentriertheit - z. B. Tagträumen, schlechtes Zeitmanagement, Probleme bei der Planung und Durchführung von To-dos etc.
  • Reizoffenheit/Reizüberflutung
  • Impulsivität

Mögliche Nebensymptome bei ADHS

  • emotionale Instabilität (z. B. Angstzustände, Depressionen)
  • Desorganisation („Aufschieberitis“)
  • Essstörungen
  • soziale Zurückgezogenheit
  • Reizbarkeit/Aggressivität/geringe Frustrationstoleranz
  • Vergesslichkeit
  • schulische Leistungsdefizite

Dissoziativer Anfall

Ein dissoziativer Anfall ist kein direktes Symptom, es kann aber die Folge einer ADHS sein und ähnelt einem epileptischen Anfall ohne biologische Ursache. Ist die betroffene Person zum Beispiel einer enormen emotionalen Belastung ausgesetzt, die die ADHS-Symptome verstärken, können daraus Bewusstseinsstörungen und hypermotorische Anfälle entstehen.

Gute Schulleistungen trotz ADHS

Zudem wird speziell bei Mädchen häufiger festgestellt, dass sie trotz ADHS zu sehr guten Schulleistungen fähig sind. Lehrkräfte nehmen betroffene Mädchen zwar als introvertiert und langsam, dadurch aber auch als sehr lernwillig und sorgfältig wahr. Was allerdings meist nur Eltern oder Geschwister bemerken können: Diese Mädchen müssen sehr viel lernen und benötigen in der Regel wesentlich mehr Zeit, um ihre Hausaufgaben zu bewältigen und sich auf Prüfungen vorzubereiten. Dies verstärkt ihren Leidensdruck enorm – Burnout, Depressionen und Angststörungen sind dann keine Seltenheit.

ADHS-Symptome bei Babys, Klein- und Vorschulkindern

Je früher ADHS bei Kindern entdeckt wird, desto besser können Eltern das Verhalten und die Beschwerden verstehen und lernen, damit umzugehen. Zu wissen, dass das eigene Kind eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung hat, bedeutet natürlich immer noch, dass sie je nach Ausprägung immer wieder Hürden überwinden müssen. Allerdings hilft es dem Kind, den Eltern und anderen Mitmenschen, zu wissen, dass weder das Kind noch die Eltern Schuld daran tragen.

Gedanken wie: Was mache ich bei der Erziehung bloß falsch etc. sind dann hinfällig. Die folgenden Symptome bedeuten nicht zwingend, dass euer Kind ADHS hat, aber sie können euch dafür sensibilisieren, mögliche Anzeichen im Auge zu behalten, früher ärztlichen Rat einzuholen und mehr Verständnis für eure Kinder und euch selbst zu entwickeln.

Mögliche ADHS-Symptome bei Babys

  • häufiges Schreien/"Schreibaby"
  • Ess- und Schlafstörungen
  • Unausgeglichenheit/Unruhe
  • Vermeidung von Körperkontakt

Mögliche ADHS-Symptome bei Klein- und Vorschulkindern

  • hoher Aktivitätsdrang/Hyperaktivität
  • Verträumtheit
  • wenig Geduld/Ausdauer beim Spielen
  • Trotzverhalten (aber: auch die klassische Trotzphase kann bereits sehr lang und intensiv sein!)
  • motorische Störungen
  • Probleme im Umgang mit anderen Kindern

Neurodivergenz statt Entwicklungsstörung

Bei ADHS, Autismus, Hochsensibilität oder auch Hochbegabung fällt heutzutage immer häufiger die Bezeichnung Neurodiversität. Der Begriff setzt sich aus Neuro (Nerven) und Diversität (Vielfalt) zusammen. Hierbei versteht man die neurobiologischen Unterschiede des Gehirns nicht als eine Störung/Behinderung, sondern als neurologische Vielfalt. Betroffene denken, fühlen und handeln anders als Nicht-Betroffene. Wichtig ist dennoch, die Neurodivergenz zu diagnostizieren, sofern nötig zu behandeln und vor allem zu akzeptieren.

Häufige Stärken von Menschen mit ADHS

Auch wenn Menschen mit ADHS viele Hürden überwinden müssen, ist es motivierend zu wissen, dass diese Form der Neurodivergenz auch Stärken mit sich bringt wie ...

  • Kreativität
  • Einsatz- und Hilfsbereitschaft
  • Feinfühligkeit/Sensibilität - manchmal auch Hochsensibilität
  • Ehrlichkeit
  • Begeisterungsfähigkeit/Euphorie
  • Spontanität

Wie wird ADHS behandelt?

Wenn die Diagnose AD(H)S gestellt wird, können Betroffene Hilfe durch Verhaltenstherapie, Psychomotorik gegebenenfalls Psychotherapie, sonderpädagogische Maßnahmen und manchmal auch durch medikamentöse Behandlung erhalten.

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