Kind mit Block und Buntstiften sitzt lachend am Schreibtisch

Glücksunterricht an Grundschulen: Mentale Gesundheit von Kindern im Fokus

In unserer leistungsorientierten Überflussgesellschaft bleibt die mentale Gesundheit häufig auf der Strecke. Bereits Schulkinder lernen, ihre Zufriedenheit vor allem über gute Leistungen und Konsumgüter zu definieren. Doch die Fähigkeit, Glück zu empfinden, ist viel wichtiger. Denn Gesundheit, Zufriedenheit, Wohlgefühl und beispielsweise auch unsere Leistungsfähigkeit sind eng mit diesem Empfinden verknüpft. Glücksexpert*innen plädieren deshalb dafür, dass wir unser Glücksempfinden trainieren und damit unsere mentale Gesundheit stärker in den Fokus rücken. Und weil der Schulunterricht die besten Voraussetzungen bietet, startet an 16 Braunschweiger Grundschulen im November 2022 ein Pilotprojekt der TU Braunschweig: Hier gibt es ab jetzt neben den herkömmlichen Schulfächern den Glücksunterricht!

Mehr Mitgefühl, Wertschätzung und psychische Gesundheit

„Wenn wir uns eine Welt mit weniger Depressionen und Stress und stattdessen mehr Mitgefühl, Wertschätzung und psychischer Gesundheit wünschen, sind unsere Schulen wahrscheinlich der beste Ansatzpunkt“, begründet der Glücksforscher und Diplompsychologe Tobias Rahm vom Institut für Pädagogische Psychologie der Technischen Universität Braunschweig sein GlüGS-Projekt, das er mit der Glückstrainerin, Buchautorin und Logopädin Carina Mathes ins Leben gerufen hat.

Oder besser gesagt auf die Lehrpläne von 16 Braunschweiger Grundschulen. Zuvor hat Rahm bereits ein Training zur Steigerung des Wohlbefindens für Lehrpersonal entwickelt. 

Wieso ist Glück so wichtig?

Ja, Glück zu empfinden, ist etwas Schönes und Positives, das wissen wir. Aber es kann angeblich noch viel mehr bewirken. Laut Rahm legen Erkenntnisse der sogenannten Positiven Psychologie, die sich als „Wissenschaft vom gelingenden Leben“ versteht, Folgendes nahe:

Glückliche Menschen sollen …

  • ein stärkeres Immunsystem haben,
  • stressresistenter sein,
  • besser Probleme lösen können,
  • kreativer und produktiver sein
  • und sogar länger leben.

Tobias Rahm bringt es mit einem Zitat des Psychologieprofessors und Gründers der Positiven Psychologie, Martin Seligman auf den Punkt:

Glück und Zufriedenheit

„Was wünschen wir uns für unsere Kinder? Die wenigsten antworten darauf mit ‚Rechnen können‘ oder ‚gute Rechtschreibung‘, sondern mit Begriffen wie Glück und Zufriedenheit.“ 

Das lernen Kinder im Glücksunterricht

  • welche Gefühle gibt es
  • welche Gefühle wertvoll sind und wie man mehr davon haben kann
  • sich seiner selbst bewusst sein – beispielsweise seiner Stärken und diese zu fördern und mit Niederlagen umzugehen und daraus zu lernen
  • Dankbarkeit zu empfinden und zu kommunizieren
  • Hilfsbereitschaft
  • Perspektiven zu wechseln
  • Emotionale Ansteckung
  • Achtsamkeit sich selbst und anderen gegenüber
  • Entspannungstechniken

All diese Themen werden den Kindern spielerisch durch kreative Übungen und Geschichten vermittelt. Für eine Dankbarkeitsübung ist zum Beispiel geplant, dass sich Schüler*innen gegenseitig mithilfe von Postkarten Komplimente machen. Zudem werden auch die Familien durch wöchentliches Infomaterial, das Anregungen für zu Hause enthält, in den Glücksunterricht mit einbezogen. Noten werden in diesem Fach nicht vergeben und klassische Prüfungen entfallen auch. Hier geht es schließlich nicht um Leistung, sondern darum, den Kindern „Social Skills“ zu vermitteln und zwar ganz entspannt und ohne Leistungsdruck. 

Wer lehrt den Glücksunterricht?

An 16 Braunschweiger Grundschulen werden insgesamt 300 Kinder von November 2022 bis Januar 2023 in „Glück“ unterrichtet. Der Glücksunterricht wird von 35 Lehramtsstudierenden jeweils zu zweit und der jeweiligen Klassenlehrkraft abgehalten. Begleitend werten Tobias Rahm und Carina Mathes die Auswirkungen wissenschaftlich aus.

Glücksunterricht weltweit

Weltweit nimmt Glücksunterricht an Schulen zu. Als Vorreiter gilt die Geelong Grammar School in Australien, die bereits 2007 „Glück“ als Unterrichtsfach anbot. An der Willy-Hellpach-Schule in Heidelberg kann man „Glück“ als Abiturfach wählen. In Neu-Dheli wird es täglich an den Schulen unterrichtet. Auch Carina Mathes gilt in Deutschland als eine der Mitbegründer*innen. Sie entwickelte im Jahr 2010 unter Mitwirkung zweier Lehrkräfte der vierten Klasse das Unterrichtsmodell „Glück macht Schule“, das an einigen Schulen erfolgreich angewandt wurde, und veröffentlichte 2011 zu ihrem Glücksprojekt auch ein (Lehr-)Buch. 

Was Glücksunterricht kann und was nicht

Durch Glücksunterricht das Glücksempfinden unserer Kinder zu trainieren, soziale Kompetenzen zu vermitteln und auf sich und andere besser Acht zu geben, ist ohne Frage eine wichtige und gute Sache. Dennoch können wir von Kindern nicht erwarten, dass sie für ihr Glück(sempfinden) allein verantwortlich sind. Natürlich ist es hilfreich, wenn sie früh lernen, dass sie ihr Glück mehr und mehr selbst in die Hand nehmen können, aber grundlegend sind es erst mal die Eltern und mit ihnen genetische Faktoren beziehungsweise ihre Erziehungsberechtigten sowie die sozialen Gegebenheiten, durch die sie eine bestimmte Lebenseinstellung übernehmen. 

Positiv und essenziell ist daher bei diesem Glücksprojekt, dass die Familien der Kinder mit einbezogen werden und dass Kinder, die zu Hause kaum Positivität vorgelebt bekommen, durch den Glücksunterricht eine ganz andere, neue und äußerst wertvolle Lebenseinstellung kennenlernen und verstehen, dass sie Dinge anders machen können. Dann stellt sich allerdings die Frage, wie Kinder trotz des neuen Bewusstseins gerade im Privaten dann auch tatsächlich in die Umsetzung gehen können, sofern ihnen die familiäre Unterstützung fehlt. Umgekehrt kann es aber auch eine weitere oder zusätzliche Motivation für das Kind sein, obwohl die Eltern ihm bereits Zufriedenheit und Achtsamkeit vorleben. 

Ein hohes Glücksempfinden trägt gewiss auch dazu bei, Erkrankungen vorzubeugen. Befürchtet oder wisst ihr allerdings bereits, dass euer Kind zum Beispiel unter einer Depression oder einem Burnout leidet, genügt es nicht, positiv zu denken und dankbar für die kleinen Dinge im Leben zu sein. In diesem Fall benötigt euer Kind zeitnah psychologische Hilfe.

Quelle: Technische Universität Braunschweig

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