Was ist der Kristeller-Handgriff und wie funktioniert er?
Der Kristeller-Handgriff – auch Kristeller-Manöver, kristellern oder Fundusdruck genannt - wurde nach dem gleichnamigen Gynäkologen Dr. Samuel Kristeller benannt. Kommt es zu einem Geburtsstillstand, soll der Handgriff in der Austreibungsphase den Kopfaustritt des Kindes beschleunigen.
So funktioniert das Kristellern
Die Geburtshelfer*innen stehen neben euch, während ihr halbsitzend positioniert seid, und üben zeitgleich mit der nächsten Press- bzw. Austreibungswehe mit den flachen Händen einen langsam zunehmenden Druck auf den Fundus uteri – den höchsten Punkt der Gebärmutter des Oberbauchs – aus, um den Kopf des Babys Richtung Beckenausgang zu schieben.
Bis zu 1.100 Euro für Schwangerschaft und Geburt
Wann wird der Kristeller-Handgriff angewandt?
- Wenn es dem Baby während der Geburt nicht gut geht (z. B. schwache Herztöne oder Sauerstoffmangel) – sogenannter fetaler Distress
- Wenn kein Kaiserschnitt mehr möglich ist
- Wenn Wehenschwäche z. B. durch eine PDA vorhanden ist
- Wenn die Mutter erschöpft ist
- Wenn das Baby in einer ungünstigen Geburtslage (z. B. Beckenendlage) ist
- Um die vaginal-operative Entbindung mithilfe von Geburtszange/Saugglocke, Dammschnitt zu unterstützen
Wirksamkeit nicht bewiesen
Dass der Fundusdruck in Zeiten, in denen er erfunden wurde, gerechtfertigt war, liegt daran, dass es früher beispielsweise noch keinen Kaiserschnitt gab. Mittlerweile ist die Geburtshilfe allerdings so fortgeschritten, dass die Risiken den Nutzen meist überwiegen. Zudem ist bis heute wissenschaftlich nicht bewiesen, dass das Manöver ...
- die Geburt beschleunigt.
- einen Dammschnitt und den Einsatz von Saugglocke oder Zange verhindert.
- die Kaiserschnittrate senkt.
- den Apgar-Wert oder ph-Wert des fetalen Blutes aus der Nabelschnur verbessert.
Was sagt die WHO?
In den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zur Geburtshilfe heißt es deshalb: „Der Einsatz von manuellem Fundusdruck zur Erleichterung der Geburt in der zweiten Geburtsphase wird nicht empfohlen.“
Was wird am Kristeller-Handgriff kritisiert?
Eine häufige Kritik ist, dass beim Kristellern der Druck auf den Bauch anstatt mit den Händen mit dem kompletten Unterarm oder Ellenbogen erfolgt. Der Druck ist zwar dadurch stärker, allerdings bestehen wesentlich mehr Risiken und der Vorgang ist schmerzhafter. Dieser Akt findet sogar zum Teil durch Mithilfe mehrerer Geburtshelfer*innen statt, die dabei oft erhöht neben dem Bett der Mutter stehen und mit beiden Armen, Ellenbogen oder Unterarm und ihrem ganzen Körpergewicht auf den Bauch der Gebärenden drücken. Auch kommen dabei manchmal Bettlaken oder ein spezieller Gurt zum Einsatz, der sich beim Aufbau der nächsten Wehe aufbläst.
Meist müssen die Geburtshelfer*innen sehr spontan entscheiden, wie sie weiter vorgehen, um das Kind zur Welt bringen zu können. Der Handgriff wird dadurch oft ohne das Einverständnis der Gebärenden angewandt. Da allerdings Schwangere oft gar nicht wissen, dass sie bestimmte Eingriffe überhaupt ablehnen können, empfinden Mütter (und Väter) das Manöver oft zurecht als Gewaltakt.
So schützt ihr euch vor Gewalt im Kreißsaal
Klärt in eurer Schwangerschaft und in Absprache mit eurer Hebamme und/euren Ärzt*innen, welche Praktiken ihr bei der Geburt ablehnt und geht auch die Alternativen durch. Somit wisst ihr dann auch bereits, wie so ein Manöver abläuft, beispielsweise weil für große Erklärungen während der Geburt keine Zeit mehr ist. Außerdem habt ihr einen guten Überblick und könnt dann eure Wünsche schriftlich (in einem Geburtsplan) festhalten und sie der Geburtsstation oder dem Geburtshaus mitteilen. Auch könnt ihr eine Doula für eure Geburt engagieren, die sich während der Geburt um euer Wohlergehen kümmert und euch bei euren Wünschen unterstützt. Und zu guter Letzt habt ihr dann auch immer noch die Möglichkeit, einer medizinischen Intervention doch zuzustimmen, obwohl ihr sie zuvor abgelehnt habt. Erfolgt dagegen ein Eingriff ohne eure Einwilligung seid ihr aber in diesem Fall schriftlich abgesichert.
Wann darf das Kristeller-Manöver nicht angewandt werden?
- Schulterdystokie:schwere Verletzungen/Lähmungen können die Folge sein
- Wehen bleiben aus:Gebärende benötigt Wehen, um während der Wehe mitzupressen. Das Kristeller-Manöver allein reicht nicht, um den Kopf des Babys nach draußen zu schieben.
- Wehensturm/drohende Uterusruptur:besonders nach Operationen an der Gebärmutter oder einem Kaiserschnitt
- Fundusplazenta (Plazenta liegt am oberen Rand der Gebärmutter) :hierbei könnte es durch ausgeübten Druck zur Plazentaablösung kommen (siehe auch Risiken).
Welche Risiken bestehen beim Kristellern?
Risiken beim Baby
- Gefahr einer Reflexbradykardie - durch den Druck, der beim Kristellern auf den Kopf des Babys ausgeübt wird, kann es zu einem lebensgefährlichen Blutdruck- und Herzfrequenzabfall kommen. Dies gilt gerade bei gleichzeitiger Verwendung von Hilfsmitteln wie Saugglocke oder Geburtszange und wenn die Herztöne des Babys bereits abgefallen sind.
- Sauerstoffunterversorgung der Plazenta und folglich des Babys - auch eine vorzeitige Plazentaablösung kann die Folge sein.
- Hirnschäden
- Armverletzungen/-lähmungen (Schulterdystokie)
Risiken bei der Mutter
- Geburtsttrauma (und möglicherweise eine gestörte Mutter-Kind-Beziehung)
- Schmerzen
- Rippenbrüche/Prellungen/Hämatome
- Atemnot
- Übelkeit/Erbrechen
- Schädigungen des Beckenbodens
- Dammriss (3. oder 4. Grades) und/oder Scheidenriss
- Selten, aber möglich: Fruchtwasserembolie, Gebärmutter- (Uterusruptur), Milz- oder Leberriss
Einverständnis und Sorgfalt sind entscheidend!
Expert*innen betonen jedoch, dass Erfahrungsberichte nicht ausreichen, um daraus Kausalitäten und wissenschaftliche Empfehlungen herzuleiten. Dazu ist weitere Forschung notwendig. Zudem gibt es auch positive Berichte von Gebärenden, die den Kristeller-Handgriff als große Unterstützung empfunden haben. Und genau deshalb ist es wichtig, dass Nutzen und Risiken immer individuell und mit Einverständnis der werdenden Mutter abgewogen werden und das Manöver mit größter Sorgfalt durchgeführt wird.