Pubertät: Wenn das Gehirn zur Großbaustelle wird

Letzte Aktualisierung: 05. Juni 2025Lesezeit: 6 Minuten
Für viele – und besonders Eltern und Pubertierende – gilt sie als schlimmste beziehungsweise komplizierteste Zeit: die Pubertät (Adoleszenz)! Nicht nur, weil die Heranwachsenden körperlich geschlechtsreif werden, sondern auch, weil das Gehirn von Teenagern schier unberechenbar ist. Und bevor Sie Ihr Pubertier jetzt dafür zu Rechenschaft ziehen wollen: Es ist unschuldig! Sein Gehirn gleicht nämlich buchstäblich einer Großbaustelle.
Teenager mit pinken mittellangen Haaren und buntem Augen-Make-up lehnt sich nachdenklich an eine Gebäudemauer

Inhalt

Lange ging die Wissenschaft davon aus, dass bereits im Kindesalter das Gehirn vollständig entwickelt sei. Den letzten großen Schub macht es allerdings erst in der Pubertät – also etwa im Alter zwischen zehn und 19 Jahren. Und dann auch gleich auf mehreren Ebenen. Und eben das führt zum absoluten Gedanken-, Gefühls-, Sinnes- und Reaktionschaos bishin zu tiefgreifenden gesundheitlichen und sozialen Problemen.

Was führt in der Pubertät zum Kopfchaos?

Nervenbahnen optimieren sich

Mit dem Einsetzen der Pubertät optimieren sich noch mal die Verbindungen der Gehirnhälften und der Nervenzellen. Wie bereits im Kindesalter greift das Gehirn dafür auf die vorhandenen Erfahrungen und das Wissen zurück und stabilisiert und perfektioniert die Verbindungen, die es häufig genutzt hat. Dadurch wird das Gehirn leistungsfähiger und saugt das gesammelte Wissen förmlich auf. Das ist beispielsweise der Grund, weshalb Teenager unglaublich neugierig sind. Aber das ist noch nicht alles.

Frontalhirn entwickelt sich zum Schluss

Das Frontalhirn, der Teil des präfrontalen Kortexes ist, ist für unsere Vernunft, logisches Denken, Planung, Impulskontrolle, soziale Interaktionen und Moral zuständig. Und eben dieser entwickelt sich erst sehr spät. Kein Wunder also, dass Pubertierenden oft gar nicht oder zu spät die Konsequenzen ihres Handelns bewusst werden – speziell dann, wenn sie noch gar keine Erfahrung auf dem Gebiet haben.

J1 und J2: Vorsorge für Jugendliche

Für Kinder von 12 bis 14 Jahren übernimmt die BIG die Kosten für die J1. Für Jugendliche von 16 bis 17 Jahren übernimmt die BIG die Kosten für die J2 – eine weitere Früherkennungsuntersuchung, an die wir Sie rechtzeitig erinnern.

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Dopaminschübe

Ebenfalls neu sind für Teenager und ihr Umfeld häufige und für das Gehirn nicht kontrollierbare Dopaminschübe. Gerade neue und aufregende Erfahrungen führen dann zu einem wahren Glückstaumel der Gefühle. Zum einen heißt das, dass jede positive Erfahrung in dieser Zeit von enormer Bedeutung ist, genauso bedeutet es aber auch, dass Teenager besonders anfällig für Dinge wie Alkohol, Rauchen, Drogen und gefährliche Mutproben sind, da sie ebenfalls zur Dopaminausschüttung führen. Das untermauern auch Erhebungen: In Deutschland machen tödliche Verletzungen 62 Prozent aller Todesfälle bei Jugendlichen zwischen 15 und 20 Jahren aus*. Das Risikoverhalten steigt dabei vor allem in Gruppen und durch den Wunsch nach Akzeptanz und Anerkennung durch Gleichaltrige.

Und neben dem Glückshormon Dopamin sind Pubertierende mit weiteren hormonellen Veränderungen konfrontiert, die ihre Stimmung und Emotionen ebenfalls extrem beeinflussen und aus denen intensive Gefühle und Stimmungsschwankungen resultieren können. 

*Quelle: Deutsches Ärzteblatt

Junges Mädchen spricht mit ihrer Mutter über ihre Sorgen
mentalis CareNow: Soforthilfe für junge Menschen mit psychischen Belastungen
Pubertierende haben es nicht leicht: In der Schule wächst der Druck, sie erleben sozialen Stress, fürchten den Klimawandel oder sind auf der Suche nach der eigenen Identität. All das kann zu psychischen Belastungen führen. Mit dem Programm mentalis CareNow bieten wir eine digitale und kostenlose Soforthilfe an.
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Pubertierende sind anfällig für psychische Erkrankungen

Diese Achterbahnfahrt der Gefühle, das sensible und aus den Fugen geratene Belohnungssystem, die Grenzüberschreitungen und die Suche nach der eigenen Identität macht Teenager laut Expert*innen dann auch noch anfällig für psychische Erkrankungen wie Depressionen und Suchterkrankungen (Alkoholsucht, Essstörungen usw.).

Abgrenzung vom Elternhaus und Akzeptanz durch Gleichaltrige

Das Leben ist als Pubertier also tatsächlich eine wilde und anstrengende Achterbahnfahrt. Der Körper entwickelt sich, das Gehirn gleicht einer Großbaustelle, die Hormone spielen verrückt und dann auch noch der individuelle Findungsprozess. Letzterer beinhaltet auch den ganz natürlichen Wunsch, sich von seinen Eltern abzugrenzen und gleichzeitig Akzeptanz und Zugehörigkeitsgefühl unter Gleichaltrigen zu finden. Vergleiche und Enttäuschungen sind da nicht weit. 

Die folgenden Punkte können die Pubertät erschweren und eine gesunde Entwicklung Ihres Kindes negativ beeinflussen:

  • Unverständnis der Eltern und/oder Lehrkräfte/Trainer*innen
  • Mobbing
  • Leistungsdruck
  • dauernde Vergleiche (z. B. durch Eltern oder Social Media)
  • fehlende Liebe und Anerkennung
  • körperliche/verbale Gewalt
  • Liebeskummer
  • körperliche Entwicklung/Veränderungen
  • Angst davor, sich zu outen (Homosexualität/Bisexualität)

So unterstützen Sie Ihr pubertierendes Kind

Jetzt verstehen wir, warum die Phase der Pubertät so unglaublich spannend, aber auch unberechenbar und schmerzvoll für alle Beteiligten sein kann. Deshalb hier noch ein paar Tipps für Sie!

  1. 1

    Liebe, Verständnis und Respekt

    Liebe, Verständnis und Respekt gegenüber dem Pubertier legen den Grundstein, um gemeinsam die Adoleszenz zu meistern. Sagen Sie Ihrem Kind, dass Sie es so lieben, wie es ist. Machen Sie Liebe und Respekt nicht von Leistungen abhängig und haben Sie Verständnis für die Sorgen Ihres Schützlings.
    10 Aussagen, die eure Kinder glücklich machen
  2. 2

    Gewaltfreie Erziehung und Orientierung

    Als Eltern sind Sie immer noch Vorbild für Ihr Kind. Auch wenn es gerade dabei ist, sich abzunabeln, sieht es immer noch, mit welcher Einstellung und welchem Verhalten Sie durchs Leben gehen und guckt sich etwas davon ab. Dazu zählt natürlich auch eine gewaltfreie Erziehung.
    Verbale Gewalt: Deshalb sollten Sie Ihr Kind nicht anschreien!
  3. 3

    Förderung der Individualität

    Genauso wichtig ist allerdings, dass Sie Ihr Kind in seiner Individualität unterstützen und bestärken, anstatt ihm Ihre eigenen Wünsche und Pläne aufzubürden. Vermeiden Sie deshalb Vergleiche mit Ihrer eigenen Jugend, Geschwisterkindern oder Freund*innen.
  4. 4

    Struktur

    Ein strukturierter Alltag durch einen gemeinsam erstellten Wochenplan kann in der Pubertät sinnvoll sein, um alltägliche Konflikte zu vermeiden. Lassen Sie Ihr Kind hierbei mitentscheiden, verzeihen Sie ihm, wenn es mal etwas vergisst, aber nehmen Sie ihm die abgesprochenen Aufgaben nicht ab.
  5. 5

    Gemeinsame Regeln und Kompromisse statt Verbote

    Ein Teenager ist kein Kind mehr und wird gerade zu einem mündigen Erwachsenen. Beziehen Sie ihn bei Konflikten in die Problemlösung mit ein. So fühlt er sich ernstgenommen, respektiert und zu guter Letzt motiviert ein gemeinsamer Kompromiss ihn, sich daran zu halten. Verbote schreien dagegen förmlich danach, sie zu übergehen, denn: Der Dopaminschub ruft!
    Medien- und Computerspielsucht bei Kindern
  6. 6

    Aufklärung und Gleichberechtigung

    So normal es scheint, ist es das leider nicht. Viele Teenager klären sich selbst auf und speziell Jungen haben oft ein unzureichendes Wissen über Verhütung, Geschlechtskrankheiten, sexuelle Orientierungen und Gleichberechtigung - was ebenfalls zu Problemen führen kann. Besonders Jungen werden zudem oft bis zu ihrem Auszug alltägliche Aufgaben wie Wäsche waschen und bügeln, Betten beziehen und kochen abgenommen. Ihr Sohn kann das allein – sofern Sie ihn lassen. 😉
    Baby X-Experimente: Raus aus der Stereotypen-Falle
  7. 7

    Professionelle Hilfe

    Nicht immer lassen sich Konflikte und Sorgen in der Pubertät ohne professionelle Hilfe lösen. Speziell bei Gewalt, großen Kommunikationsproblemen, häufigem Schuleschwänzen, psychischen Erkrankungen, Suchterkrankungen und Ähnlichem. Die BIG unterstützt Sie und Ihr Kind, mit verschiedenen Leistungen und zusätzlichen Angeboten.
    Angebotsübersicht der BIG
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